Orient Express

Israel

Dieses Land betrittst du bereits wenn du noch deutschen Boden unter den Füßen hast. Die Israelis haben aufgrund der angespannten Situation ein eigenes Terminal am Münchener Flughafen. Klein und schmucklos aber in den Händen des Mossad. Zumindest ist das mein Eindruck, als ich zum ersten Mal in meinem Leben 3 Stunden vor Abflug den Bereich „F“ hinter dem Kempinski Airport Hotel betrete. Bevor ich meinen Koffer aufgeben darf, werde
ich von einem finster dreinblickenden Man in Black interviewt. Nachdem er meinen Reisepass Seite für Seite nach Stempeln aus Ägypten, dem Oman oder Afghanistan durchforstet hat, will er wissen, was ich in Israel zu suchen habe, warum ich alleine unterwegs bin und welche Nationalität meine Putzfrau hat. Letzteres ist kein Scherz! Zum einen ist es für israelische Männer undenkbar, KEINE Putzfrau zu haben, zum anderen sind sie fest davon überzeugt, dass Putzfrauen in Deutschland in der Regel Muslime sind. Ich kucke den Mann so entgeistert an, dass er mich wahrscheinlich in Gedanken bereits mit Handschellen in die Katakomben unter Terminal F verschleppt und mich waterboarded bis ich gestehe. Tatsächlich kommt bei mir einmal im Jahr die Frau meines türkischen Maler-Kumpels für eine Grundreinigung in die WG, aber das binde ich diesem Bürschchen natürlich nicht auf die Nase. Weil ich erstens auf diese Maschine will und zweitens keine Lust habe, einem Mitte Zwanziger, der in Türsteher-Mentalität den Larry raushängen lässt, seinen Rassismus zu erklären.

Etwa 2 Stunden und eine weitere Befragung später (mein Reisepass wurde mit einem orangen Punkt versehen, was so viel heißt wie: den bitte noch Mal in die Mangel nehmen) sitze ich endlich in einer vollbesetzten El Al Maschine nach Tel Aviv. Gefühlt bin ich der einzige Deutsche auf diesem Flieger, zumindest in den 5 Sitzreihen vor und hinter mir wird ausschließlich hebräisch gesprochen. Das ist nicht zu überhören. Israelis lieben es, sich laut mitzuteilen. Vor allem wenn sie gut drauf sind. Und das sind sie weil sie wissen: Es geht nach Hause. Ich sitze eingepfercht zwischen einem Ultraorthodoxen mit Vollbart, Schläfenlocken und Hut und einem mutmasslich schwulen Star DJ mit manikürten Fingernägeln, Kajal unter den Augenlidern und Tech-House auf den goldenen „Beats“ Kopfhörern. So langsam gefällt mir dieser Trip in dieses Land, von dem so viele sagen, es begeistere und spalte die Menschen wie kaum ein anderes.
Touch down am Flughafen von Tel Aviv. Der israelische Nationalstolz ist nicht zu übersehen. Die Landesflagge, ein Davidstern zwischen zwei waagerechten blauen Streifen auf weißem Grund, weht alle 20 Meter entlang der Begrenzungszäune des Airports. Ich verlassen den Flieger zwischen schnatternden Jüdinnen und Juden, die es nicht erwarten können, die Luft ihres Landes zu atmen. Ich bin oft mit Deutschen vom anderen Ende der Welt nach Hause geflogen aber SO gefreut hat sich da noch nie jemand. Es ist nun mal eine junge Demokratie mit einer besonderen Geschichte, die leider auf sehr unschöne Weise mit der unsrigen verbunden ist. Davon merke ich aber nichts, als ich bei der Einreisekontrolle meinen deutschen Pass vorzeige. Die Dame hinterm Schalter begrüßt mich mit einem holprigen aber warmen „have a wonderful time in Israel, my friend“.

Tel Aviv ist eine Liebe auf den zweiten Blick. Tagsüber ist sie keine Schönheit. Sieht man vom alten Hafenviertel Jaffa, welches bereits 3.500 vor Christus existierte, ab, wurde die Metropole innerhalb weniger Jahrzehnte aus dem Boden gestampft. Nach Ende des zweiten Weltkrieges und der Verabschiedung der israelischen Unabhängigkeitserklärung strömten Zehntausende in die „Weiße Stadt“ um sich hier ein neues Leben aufzubauen. Deutsche Juden, die vor den Nazis geflohen waren, hatten bereits in den Dreißigern den nüchternen Bauhaus-Stil etabliert. Rund 4.000 Gebäude wurden so in kürzester Zeit hochgezogen und sind seitdem Hitze, Sand und salziger Meeresluft ausgesetzt, die sich unentwegt in die Fassaden der Flachdach-Häuser frisst. Der Putz ist fast überall grau geworden oder schon komplett runter, Fenster sind tagsüber in der Regel verschlossen. Das alles tut aber der
wahren Schönheit Tel Avivs keinen Abbruch. Die zeigt sich in der Dämmerung, wenn die Bewohner der Stadt die stillen Gassen fluten und in ein kunterbuntes Tohuwabohu verwandeln (übrigens hebräisch aus dem ersten Buch Mose: „Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde. Und die Erde war Tohuwabohu“. Das nur am Rande).

"Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde...
Und die Erde war Tohuwabohu."

Israelis arbeiten hart aber feiern härter. Auch an einem Montagabend platzt jedes Restaurant, jede Bar aus allen Nähten. Und wo es keine Bar gibt, wird
spontan eine gebaut. Bei mir um die Ecke, in einer Seitenstrasse der Herzl Street, ziehen sie abends einfach die verwitterten Garagentore hoch, hängen eine Lampionkette auf, stellen ein paar Stühle raus und servieren kaltes Bier aus dem Kühlschrank der benachbarten KFZ Werkstatt. Überall duftet es nach
Koriander, Tahina, Humus und Kurkuma. Die israelische Küche ist Multi-Kult, von allem etwas, weil jüdische Sterne-Köche aus den Metropolen der Welt seit den frühen 50ern hier einfallen und fusionieren. Alles ist erlaubt solange es schmeckt. Und es schmeckt fantastisch. Ich frage mich, wie die Israelis es
trotzdem schaffen, so schlank zu sein. Die essen ja nicht nur viel, die bechern auch ordentlich.

Die Antwort findet sich an der Shlomo-Lahat-Promande. Eine für Autos gesperrte Straße, die fast kerzengerade am Mittelmeer entlang führt und nichts
anderes ist als eine kilometerlange Rennstrecke für Inliner, Jogger, Skater und Radler. Die machen sich aber nur warm um direkt im Anschluss noch surfen, kiten oder Beachvolleyballen zu gehen. Sport ist in Tel Aviv obligatorisch. Fast jeder hat ab dem Nachmittag Puls. Man muss fairerweise dazu sagen, dass das Durchschnittsalter hier bei 34 liegt. Es gibt meines Wissens nach keine jüngere Großstadt auf der Welt. Der Energielevel ist entsprechend hoch.

Wer keinen Sport macht, macht Musik. Oder geht mit dem Hund ins Wasser. Hunde gibt es hier jede Menge. Die Israelis lieben sie. Und im Gegensatz zu anderen Mittelmeerländern sind sie hier an fast jedem Strandabschnitt erlaubt. Erlaubt (oder vielmehr geduldet) sind außerdem „Sportzigaretten“. Junge und Alte kiffen gerne, oft und öffentlich. Der Duft von Marihuana steigt einem ständig in die Nase und Joints werden auch mit Fremden geteilt. Ich glaube, es bereitet ihnen eine diebische Freude, wenn sie Ausländer mit geringer THC Toleranz ins Land der Farben und Träume schicken. Das Zeug hämmert nämlich so rein, dass meiner Meinung nach nur Heavy User nach 5 Zügen noch in der Lage sind, geradeaus zu laufen. Da Tel Aviv auch das Silicon Valley des Orients genannt wird, vermute ich mal, dass sich da ein paar schlaue Köpfe nebenbei in Gras-Labs austoben.

Israelis sind sehr viel politischer als wir. Und nicht jedem gefällt die Linie, die die Regierung im Nahost-Konflikt fährt. Kritik an dieser Politik findet sich überall in der Stadt. Vorzugsweise als Graffiti an Häuserwänden. Meist aufwendig inszeniert, mit viel Liebe zum Detail und künstlerisch anspruchsvoll. Nicht alles geht gegen Netanjahu aber doch das Meiste. Ich bin bei einem Menschenrechtsaktivisten und dessen Patchwork Familie zum Abendessen
eingeladen. 10 Erwachsene und Jugendliche mit 100 Meinungen sitzen am Tisch und diskutieren bis in die Nacht. Ich bin ein gefundenes Fressen weil ich als Aussenstehender ja möglicherweise einen Ansatz verfolge, an den die gar nicht denken. Ich glaube, sie waren am Ende ein wenig enttäuscht weil der gemeine Deutsche politisch nicht so leidenschaftlich streitet wie das die Israelis tun. Wir sind in dieser Hinsicht deutlich zurückhaltender. Wobei ich auch sagen muss, dass auf hebräisch vieles wie eine Kriegserklärung klingt. Selbst wenn man nur nach dem Salz fragt.

"Eine so delikate Mischung - Selbst für Atheisten wie mich ein elektrisierender Ort..."

Wer Israel verstehen will, muss auch mal raus aus Tel Aviv. Ich nutze meinen letzten Tag um nach Jerusalem zu fahren. Das “Heiligtum“, wie es im
Arabischen heißt, liegt auf halber Strecke zum Toten Meer, in den judäischen Bergen. 45 Minuten mit dem Auto. Die Altstadt ist von einer gewaltigen,
osmanischen Festungsmauer umgeben, die 4 Religionen auf engsten Raum zwingt. Es gibt ein jüdisches, ein christliches, ein armenisches und ein muslimisches Viertel. Ihr könnt euch vorstellen, wie delikat diese Mischung in einem Land mit der Geschichte Israels ist. Selbst für Atheisten wie mich ein elektrisierender Ort. Ich lasse mich stundenlang durch die unterschiedlichen Kirchen treiben, spreche mit Gläubigen, meditiere und stecke
an der Klagemauer das obligatorische Zettelchen mit einer Bitte an wen auch immer in eine Ritze zwischen die mächtigen Kalkstein-Blöcke. Leider wird
mein Wunschzettel nicht lange überleben. Zweimal im Jahr säubern die Rabbiner ihr Heiligtum um Platz für die nächsten Beter zu schaffen.

In der Nacht vor meinem Rückflug nach Deutschland verirre ich mich zufällig in einen leerstehenden Innenhof in Neve Tzedek, dem Hipster Viertel von Tel Aviv. Von außen total unscheinbar. Einschusslöcher in der Fassade, eingeworfene Fenster, das große Stahltor verriegelt, nur eine kleine Tür im Halbdunkel weist den Weg nach innen. Früher war das Wohnraum, heute ist es ein Mekka für den Eskapismus dieser Stadt. Gigantische 3D-Mapping Beamer werfen spektakuläre Hologramme auf die Wände. Menschen tanzen, essen und trinken über 4 Stockwerke an einem Ort, der auch als Set für einen Zombie-Apokalypse Film durchginge. Und in der Mitte des Innenhofs überträgt ein DJ seine hämmernden Beats live auf teder.fm, dem Radiosender der Stadt. Grinsend beiße ich in meine Pizza, die auf den Seitenwänden von Umzugskartons serviert wird (Teller in der Größe gibt es nicht), und google nach einem späteren Flug. Tel Aviv hat mich voll erwischt.