Somewhere Only We Know
Almdorf Seinerzeit
Im Ernst, ich bin durch und durch Stadtaffe. Reizüberflutet, notorisch nervös und grundsätzlich zu schnell, zu gleichzeitig, zu viel von allem, zu viel auf einmal. Ich bin chronischer Email Checker, Statusabfrager, Aktualisierer. Runterkommen geht mit schwerem Rotwein. Flaschen, keine Gläser. Ok. Ich übertreibe. Aber ich bin nah dran. Du auch? Bravo. Dann bist du hier richtig. Ich habe nach einem Ort gesucht, der mich abschaltet. Und ich habe ihn gefunden.
Von den Gurktaler Alpen und den Nockbergen haben in Deutschland wahrscheinlich die wenigsten gehört. Warum auch? Die südlichen Ausläufer sind selbst für die Bayern weit weg und für Wintersportler ist das Angebot überschaubar. Man fährt bis Salzburg und dann nochmal 200 Kilometer Richtung Süden bis man fast in Slovenien raus kommt. Der letzte Ort, den das Navi anzeigt, ist Patergassen. Dann geht’s irgendwann rechts hoch Richtung Falkertsee. Kein Wegweiser, nur eine „Heidi“ Figur mit ausgestreckter Hand. 10 Minuten steile Serpentinen im ersten Gang, das Lenkrad am Anschlag. Ich bin diese letzten Meter fast immer nach Einbruch der Dunkelheit gefahren. Im Schnee, im Regen, bei Nebel. Da glaubst du irgendwann nicht mehr, dass da noch was kommt. Ich bin deshalb auch schon zwei mal dran vorbei gebrettert, das Schild ist nicht besonders groß. Aber am Ende weisen die alten Öllampen den Weg.
Und dann steigt man auf knapp 1.600 Höhenmetern aus. Atmet Bergluft. Sieht Millionen Sterne wenn der Himmel aufklart. Unterhalb des Parkplatzes zeichnen sich die Umrisse kleiner Almhütten gegen die schwarzen Schatten des gegenüberliegenden Bergmassivs ab. Und eine dieser Hütten gehört dir für ein paar Tage.
"...am Ende nichts anderes als eine perfekte Inszenierung,
ein Alpen-Disneyland für Großstädter..."
Das Almdorf „Seinerzeit“ war das Erste seiner Art. Gebaut Mitte der Neunziger von 2 österreichischen Feingeistern, die nicht nur eine Vision sondern auch die nötigen Schillinge parat hatten. Sie wollten einen Ort schaffen, der den Zauber eines jahrhundertealten Bergdorfs verkörpert. Almhütten aus Stein und Holz unter Nagelschindeldächern. Alles nach traditioneller Baukunst. Ein offener Kamin in der Mitte der Stube, eine Badewanne aus Holz, ein feuerbeheizter Zuber unter freiem Himmel, eine urgemütliche Essecke mit Bodenklappe (da lagert der Wein) und eine Kochnische mit gusseisernen Pfannen und alten Tonkrügen. Als ich das erste Mal hierher kam, konnte ich mein Glück kaum fassen. Alles hier reduziert die Sinne aufs Wesentliche. Der pure Genuss für jeden, der sich sonst dem monströsen Dauerbeschuss der Großstadt aussetzt.
Das „Seinerzeit“ ist heute kein Geheimtipp mehr. Es gibt Nachahmer und auch die sind nicht verkehrt. Die Bergdörfer „Priesteregg“ und „Prechtlgut“ im Salzburger Land, die „Woodbridge“ Chalets am Eulersberg oder die Alpen Lodges auf der Alpspitze. Aber das Original steht in Kärnten. Und weil es da seit 25 Jahren steht, hat es sich längst mit der Natur verbündet. Das macht es einzigartig. Die Wege sind verwachsen, der Teich voller Fische, die Tannen nehmen sich den Platz, den sie brauchen. Es gibt zwei Saunen mit Blick ins Tal, ein altes Gasthaus, dass einen hervorragenden Palatschinken zaubert, einen Stall, der Esel beherbergt, 2 benachbarte Hängebauchschweine, unzählige Katzen, einen Kaninchenbau und ein Insekten-Hotel. Das Frühstück wird morgens auf die Hütte gebracht. Das Abendessen auch, außer man kocht selbst, was Spaß machen kann in der winzigen Küche.
Dennoch ist das „Seinerzeit“ am Ende nichts anderes als eine perfekte Inszenierung, ein Alpen-Disneyland für Großstädter, die sich für ein paar Tage fühlen wollen wie Almbauern im frühen 19. Jahrhundert. Mit dem Unterschied, dass man sein Holz zwar selbst hacken kann aber nicht muss. Und falls das Kaminfeuer nicht reicht, dreht man einfach die Heizung hoch oder läßt sich eine heiße Wanne ein. Verträumte Hütten-Fotos lädt man bequem über das High Speed WLAN auf Instagram hoch und wer sich am Sternenhimmel satt gesehen hat, kann an einer Kordel ziehen, die den Flatscreen Fernseher hinter einer Holzwand offenbart. Aber hey, Ehre wem Ehre gebührt. Die „Seinerzeit“ Macher haben mit diesem künstlichen Bergdorf ein kluges 5-Sterne Konzept Wirklichkeit werden lassen, dass seinen Preis wert ist. Deshalb komme ich ab und an gerne für ein paar Tage hierher. Wo der Ruhepuls zu Hause ist.