Under Pressure

Tigerhaie auf den Bahamas

Für 3000 Dollar schlafe ich eine Woche auf weniger als 2 Quadratmetern neben einem schnarchenden Briten, teile mir EINE Dusche und EIN Klo mit 9 Passagieren und 4 Crewmitgliedern und esse Tiefkühlkuchen mit Sprühsahne. Über den Preis denke ich trotzdem keine Sekunde nach. Für dieses Geld bringen sie Dich lebend zurück. Und an meinem Leben spare ich ungern.

4. Januar. Im Hafen von West Palm Beach, Florida, liegt die „ShearWater“, mein Zuhause für die kommenden 7 Tage. Das Boot gehört Jim Abernethy. Amerikaner. Taucher. Hai-Experte. Und einer der wenigen Menschen auf der Welt, die Unterwasserbegegnungen mit großen Tigerhaien ermöglichen. Ohne Käfig. Mit bis zu 40 Jägern im Wasser. Einige der spektakulärsten Aufnahmen der Welt sind in den Gewässern der Bahamas und unter seiner Leitung entstanden. Fotografen und Filmemacher von National Geographic, IMAX und dem Discovery Channel waren hier. Jetzt ich und 8 andere. Sie kommen aus Kanada, England, Spanien und Belgien und sind durch die Bank erfahrene Taucher mit hunderten Haibegegnungen auf dem Konto. Trotzdem hat hier jeder die Hosen voll. Wenn die unangefochtene Spitze der Nahrungskette mit 5 Metern Länge und fast 1 Tonne Kampfgewicht ernst macht ist Feierabend. Für jeden von uns.

Damit das nicht passiert gibt es ein dreistündiges Briefing von der Crew. Es ist früher Vormittag. Von den Gästen hat keiner ein Auge zugemacht. Die nächtliche Überfahrt in die Gewässer der Bahamas war lang und holprig. Trotzdem sind alle hellwach. Es geht um viel. Die Sicherheit der Gruppe und jedes Einzelnen. Wer sich nicht an die Regeln hält, muss aus dem Wasser. Punkt. Matt, Mitte zwanzig und Jim’s rechte Hand, sagt, was Sache ist. Erstens: Berühre unter keinen Umständen die Beute, sprich, die geschlossenen Boxen mit dem toten Fisch, die unter dem Boot angebracht werden um die Haie anzulocken. Zweitens: entferne dich niemals von der Gruppe. Bleib immer in Reichweite. Wenn du zu weit weg bist, kann dich keiner warnen wenn sich ein Tigerhai außerhalb deines Sichtfeldes nähert. Drittens: ignoriere die Riff- und Zitronenhaie, konzentriere dich auf die Tiger. Wenn dich einer der „Kleinen“ beißt, ist der Urlaub gelaufen aber du wirst es überleben. Passiert dasselbe mit einem der Großen war’s das. Matt wiederholt diesen Satz immer und immer wieder. Es ist DIE entscheidende Regel auf diesem Trip. Lass die Tigerhaie unter keinen Umständen aus den Augen! Solange sie sehen dass du sie siehst, werden sie kein Risiko eingehen. Haie sind vorsichtig. Sie fressen Aas oder jagen aus dem Hinterhalt. Wenn sich ihnen aber die Möglichkeit bietet, wollen sie vielleicht heraus finden, was du bist. Das hat nichts damit zu tun, dass sie dich fressen wollen – wir sehen nicht aus wie Futter, wir bewegen uns nicht wie Futter, wir riechen nicht nach Futter – aber es ist nun mal ihre Art, Unbekanntes zu untersuchen. Ein Hai hat weder Hände noch Füße, ein Hai hat nur ein Maul. Dummerweise ist das oft groß genug, um mit einem einzigen, sachten Probebiss eine Schlagader zu durchtrennen. Jim hatte mal das Vergnügen. Ist noch nicht lange her. Eine Futterbox leckte, Fetzen von totem Fisch schwammen durch’ s Wasser. Jim mittendrin, umgeben von 30 Riff- und Zitronenhaien. Einer schnappte nach Beute und erwischte Jim’s Oberarm. Innerhalb weniger Sekunden verlor der Mann, der seit Jahrzehnten ohne einen einzigen Zwischenfall mit den größten Jägern der Weltmeere taucht, Unmengen Blut im Wasser. Was taten die Haie? Nichts… ihr Verhalten änderte sich nicht im Geringsten. Kein Blutrausch, keine Fressorgie. Ein Märchen, welches die sensationsgeile Boulevardpresse seit Jahrzehnten immer und immer wieder zum Besten gibt. Leider. Aber Haie reagieren nicht auf menschliches Blut. Wir schmecken ihnen nicht. Fazit von Matt’s dreistündigem Briefing: lasst die Finger von den Köderboxen, haltet euch an unsere Regeln und ihr werdet die großartigste Zeit eures Lebens haben. Yes, Sir!

"Ein gigantischer Raubfischzirkus, nur dass dies kein Zirkus sondern deren Revier ist."

Erster Tauchgang am „Tiger Beach“. Der Name täuscht. Einen Strand gibt’s hier nicht. Noch nicht mal eine Insel. Wasser, so weit das Auge reicht. Jim hat diesem Ort vor vielen Jahren und nach hunderten Tauchgängen seinen Namen gegeben. Eine Sandbank in knapp 5 Metern Wassertiefe, etwa so groß wie zehn Fußballfelder. Kristallklares Wasser. Nur wenige Zentimeter unter der Oberfläche die Vorhut. 20, 30, vielleicht sogar 40 graubraune Schatten. Riff- und Zitronenhaie die bereits Witterung aufgenommen haben. Die Köderboxen waren schon im Wasser bevor Matt den Anker warf. Deshalb der Andrang rund ums Boot. Wir machen uns fertig. Vier von uns jetzt, der Rest eine halbe Stunde später. Ich bin Gruppe 1 und sitze mit einem mulmigen Gefühl auf dem schmalen Kunststoffplateau am Heck. Jay, der Koch, reicht mir meine Kamera in die Linke und einen einmeterlangen Plastikstock in die Rechte. Der Stock dient dazu mein Revier zu verteidigen. Kommt der Hai zu nahe, soll ich den Stock vertikal vom Körper weg halten. Der Hai dreht dann ab. Sagt er…. Ich beuge mich nach vorn und halte meinen Kopf ins Wasser um das Verkehrsaufkommen unter mir zu checken. Heiliger Strohsack. Die sind ÜBERALL. Wenn ich mich jetzt und hier nach vorne plumpsen lasse, sind Kollisionen vorprogrammiert. Jay deutet meinen Blick und grinst. Der Typ aus Deutschland hat die Hosen voll. Er lacht und sagt: „Relax. they may bump into you but they don’t care.“ Aha… ich lasse die Luft aus dem Jacket, atme aus und gleite ins Wasser. Nach wenigen Sekunden spüre ich den ersten, massigen Körper an meiner Schulter. Ein dreimeterlanger Zitronenhai stupst mich sachte in die Flanke. OK. So läuft das hier. Ich lasse mich in den sandigen Boden sinken, blase die Maske aus und sehe mich um. Alles was jetzt kommt, ist mit Worten kaum zu beschreiben. Haie unter, über und neben mir. Zitronen- und Riffhaie sowieso, aber zwei Minuten später taucht schon ein großer Hammerhai auf, kurz darauf der erste Tiger. Ich vergesse das Atmen. Ich vergesse das Denken. Ich vergesse alles, was ich bisher unter Wasser gesehen habe. Bis mich Matt 60 Sekunden später in die Wirklichkeit zurückholt. Er packt mich am Arm, weist mich an die Augen offen zu halten und meinen Platz einzunehmen. Zwischen dem Spanier und der Kanadierin. Denen geht’s wie mir. Hier sind alle ballaballa. Kein Wunder. Das hier ist absolut einmalig. Die Show kann losgehen. Matt positioniert die Taucher, Jim die Köderboxen. Die Jungs machen das clever. Sie checken die Strömung und weisen die Gäste in einer Linie links oder rechts von der Beute ein. Die Haie kommen meistens von vorne, schwimmen gegen die Strömung und auf die Köder zu. Sie kommen so nahe, dass man sie berühren kann. Manche rammen die Kameras. Wir wissen, dass vor allem die Tiger ein großes Interesse an unserem Equipment haben. Und wenn sie nicht nur stupsen sondern das Maul aufreißen, sollte man sein Unterwassergehäuse besser loslassen. Der Hai wird es vorsichtig untersuchen, vielleicht damit wegschwimmen, es dann aber irgendwann fallen lassen. Von 44 geklauten Kameras sind 43 unbeschadet wieder aufgetaucht. Ein großes Tigerhai Weibchen hat sogar mal aus Versehen den Auslöser gedrückt und zwei Bilder geschossen. Sagt Jim. Und der muss es wissen, er ist immer dabei.

Klassische Tauchgänge gibt es auf diesem Trip nicht. Jeder kann rein, wann er will und so oft er will. An einem Tag bin ich fast 7 Stunden unter Wasser. Und nach Einbruch der Dunkelheit noch mal 2 Stunden. Das lässt Dich einfach nicht los. Du willst keine Sekunde verpassen. Zumal es mehr werden. Mehr Tigerhaie. An Tag eins sind es 4, an Tag fünf 12. Neben den 40 Zitronen- und Riffhaien. In tieferen Gewässern gesellen sich noch Bullenhaie dazu. Alle auf einmal. Alle zum Greifen nahe. Ein gigantischer Raubfischzirkus, nur dass dies kein Zirkus sondern deren Revier ist. Für einen ambitionierten Taucher der Garten Eden.

Von jetzt an will ich die Bilder sprechen lassen. Das, was wir in diesen sieben Tagen gesehen und gefühlt haben, lässt sich nur schwer in einem Text wiedergeben. Genießt die Aufnahmen. Oder noch besser: Erlebt es selbst!

Jim Abernethy liebt das Meer und seine Bewohner. Vor allem die Haie. Er reduziert das Risiko auf ein Minimum und schenkt Dir Millionen unbezahlbarer Momente. Ich würde jederzeit wieder mit ihm ins Wasser gehen. Danke Jim für diesen Trip. Wir sehen uns nächstes Jahr.