The Ring Of Fire

Burning Man

Eins vorneweg: Es gibt nur einen Weg, den Burning Man zu begreifen. Ihr müsst euch ein Ticket organisieren und hin. Was da einmal im Jahr Ende August in der Wüste Nevadas passiert, kann man zwar in einen Blog packen und mit Fotos aufhübschen (das Licht für ist fantastisch). Aber das, was in deinem Kopf passiert wenn du nach drei, vier Tagen so richtig angekommen bist in diesem Raum-Zeit Kontinuum voll toxischem Wüstenstaub, Feuer, Dunkelheit und chronischem Schlafmangel, läßt sich mit Worten nicht beschreiben. Schlicht und ergreifend deshalb weil die Sprache, die an diesem Ort gesprochen wird, in der Welt jenseits des Burns nicht mehr existiert.

Was ist der Burning Man? Geographisch gesehen eine temporäre Stadt, die im Spätsommer in der Black Rock Salzwüste aus dem Nichts aufgebaut wird. Ihre Symmetrie ist einzigartig. Aus der Luft sieht sie aus wie ein Halbmond im Nirgendwo. Im Zentrum der Sichel stehen in perfekter Symmetrie zueinander der Mann und der Tempel. Ihr Gründer, Larry Harvey, hat ein Vermächtnis hinterlassen, dass im Sommer 86 aus einem bitteren Herzschmerz heraus geboren wurde und heute jährlich 70tausend Menschen zusammen kommen lässt. Larry hat damals mit Freunden eine selbstgebastelte Holzfigur verbrannt um seinen Liebeskummer zu verarbeiten. Der Rest ist Geschichte und Larry inzwischen tot (es war aber nicht der Herzschmerz, der ihn 2018 umbrachte. Es war ein Schlaganfall).

"Was da einmal im Jahr in der Wüste Nevadas passiert, ist schwer in Worte zu fassen."

Black Rock City ist heute ein Ort, der die meisten Vorschriften, wie wir sie von modernen Gemeinschaften kennen aushebelt und die ganze Angelegenheit auf eine einfache Formel beschränkt: werde ein Bewohner dieser Stadt, tue 8 Tage lang was dir
gefällt aber tue auch etwas für die anderen. Egal, wo ich unterwegs war, in den Camps der Stadt oder in der Playa, der offenen Wüste, die grob geschätzt die Größe von etwa 500 Fußballfeldern hat (und genau so ebenerdig ist): Black Rock City hat mir immer genau das gegeben, was ich in diesem Moment gebraucht habe: Essen, Wasser, Wodka Martinis, eine Umarmung, ein Platz zum Schlafen, Gruppenmeditation, Leute, die dein Fahrrad reparieren… 

Es ist erstaunlich, wie gut eine Gemeinschaft funktioniert wenn sich die Menschen nicht nur um sich selbst sondern auch um andere bemühen. Das Prinzip des Gebens. Bei mir hat mal mitten in der Nacht ein Israeli an die Camper-Tür geklopft weil er seine Eroberung mit einem veganen Sandwich beeindrucken wollte. Ich hatte Humus, Weissbrot, einen Toaster und gerade nichts besseres vor. Der Junge konnte sein Glück kaum fassen und ich war endlich als gebender Burner geadelt.
Und dann ist da noch die Kunst. Die haut dich um. Sie ist überall. Manchmal ist sie klein und manchmal so groß wie eine 747. Sie bewegt sich. Sie leuchtet. Und es kommt vor, dass sie am nächsten Tag nicht mehr da ist. Oder du findest sie an einem anderen Ort wieder. Das weiß man nie so genau hier.

"Sie bewegt sich. Sie leuchtet. und es kommt vor,
dass sie am nächsten tag nicht mehr da ist"

Was Menschen, die, wie ich, noch nie einen Burning Man erlebt haben, komplett von den Socken haut, ist die erste Nacht auf der Playa, der offenen Wüste jenseits der Camps von Black Rock City. Wir haben uns damals kurz nach unserer Ankunft morgens um 3 auf den Weg gemacht, mit LED Blinkern in den Fahrradspeichen, die Signallichter der Citizens. Mein erster Eindruck war der klare Sternhimmel über uns, das schwarze Nichts vor uns und der Wüstenboden unter uns, so eben, als wäre er vor Urzeiten von einer gigantischen Walze platt gemacht worden.
Am Horizont funkeln tausend Regenbogenfarben, alles ist in Bewegung. Ein Laser schneidet seine messerscharf Schneise durch das Dunkel. Ich frage meine Jungs, die schon das dritte Mal hier sind „wohin“?! Die lachen nur und sagen „vollkommen egal“. Es gibt keine Verkehrsregeln. Jeder fährt geradeaus. Und geradeaus ist an diesem Ort eine recht subjektive Angelegenheit.
Was dann passiert, ist für einen Burning Man Anfänger nur schwer greifbar. Riesenhafte Art-Cars, Fahrzeuge, die in ihrem früheren Leben Trucks waren, geschmückt wie eine Braut aus Licht, überragt von überdimensionalen Boxentürmen, kriechen wie gigantische LED-Insekten feuerspuckend durch die Nacht. Ein DJ, der aussieht wie ein Mad Max Kolonist, drückt seine Beats in die Menge, hunderte, manchmal tausende, die in leuchtenden Fantasieoutfits auf leuchtenden Fantasiefahrrädern auf einer Reise an das andere Ende der Nacht sind.

Müsste ich es in einem Satz beschreiben:es ist wie Alice im
Regenbogen-LED-Feuer-Laser Wunderland.

Müsste ich es in einem Satz beschreiben, würde ich sagen, es ist wie Alice im Regenbogen-Feuer-Laser Wunderland. Ein visuelles Spektakel, dass auf dich einwirkt solange die Wüste Nevadas auf der dunklen Seite der Erde liegt. Ich habe diese erste Nacht mit einem Anruf bei Gott beendet. In einer verlassenen Telefonzelle aus den 50ern. Gott war weiblich und genervt. Ich war wahrscheinlich der tausendste Anrufer… Sie hat mich nach einem kurzen Small Talk ins Bett geschickt und ich hielt das für eine gute Idee.

Begegnungen zwischen Menschen sind auf dem Burning Man anders als in der normalen Welt. Ich würde sagen, sie sind intensiver und liebevoller.

Es gibt Camps, die kochen, andere geben Drinks aus. Eine Gruppe Russen hat jeden Nachmittag selbstgemachtes Eis in den absurdesten Geschmacksrichtungen verschenkt. Wir konnten nicht genug davon bekommen. Ein Highlight war das „Foam Home“, wo man sich in einer Art Gemeinschaftsdusche gegenseitig einseift und wäscht, komplett nackt natürlich, was nach ein paar Tagen hier keinen mehr interessiert. Oder das PlayAlchemist, wo jeden Tag Vorträge und Diskussionsrunden stattfanden, von technischer CO2 Speicherung über Rechte und Pflichten beim Hauskauf bis hin zu Umschnall-Dildos für Frauen, die ihre Ehemänner dominieren wollen. Das Camp, in dem wir zu Hause waren, hat Kostüme repariert. Außerdem hatten wir einen 10 Meter hohen Kletter-Turm, ohne Sicherung, ohne Geländer aber einer Aussichtsplattform, die höher war als alle anderen im Umkreis. Bei uns hatte man einen fantastischem Blick über die Stadt. Alles natürlich ohne TÜV. Den gibt’s hier nicht, die Ansage lautet „safety third“.

Die Bewohner von Black Rock City kümmern sich umeinander. Anders als wir das aus der normalen Welt kennen. Ich sass an einem Vormittag im Schatten des Burning Man und habe mir eine Kinder Artistik Show angeschaut als neben mir ein Mädel
angefangen hat zu weinen. Ich weiß bis heute nicht warum. Spielte aber auch keine Rolle, sie hat sich irgendwann neben mich gesetzt weil sie eine Umarmung brauchte. Die habe ich ihr gegeben und nach einer viertel Stunde war alles wieder ok. Sie hat
sich mit einem stummen Lächeln bedankt und ist gegangen. Ich habe sie nie wieder gesehen. In der wirklichen Welt passiert einem so etwas nicht. Hier passiert dir das andauernd.

Solltet ihr jemals darüber nach denken, einen Burn zu machen: er ist ein Erlebnis aber er geht an die Substanz. Keine Nacht mit mehr als vier, fünf Stunden Schlaf. Tagsüber 40, nach Einbruch der Dunkelheit 10 Grad. Der Staub frisst sich in Kleidung, Haut und Lunge. Die Hygiene beschränkt sich auf Dixie Klos, Feuchttücher und Camping Duschen. Und auf der Eintrittskarte steht „you might die“. Kommt leider auch vor. Ich werde es trotzdem noch mal riskieren. Du bist dem Himmel hier sowieso schon nah.