Bitter Sweet Symphony

Ghana

Dass Benjamin in Accra wohnt und wir vorübergehend auch, heißt in der Hauptstadt von Ghana gar nichts. Der afrikanischen Metropole fällt an jeder Ecke ein Grund ein, warum es hier eben nicht mehr weitergeht. Was den Ghanaer an sich nicht stört. Es dauert so lange wie es dauert. Staus. RoadBlocks. Oder einfach mal so stehen. Wo dem Deutschen schon längst der Kamm schwillt, schielt der Afrikaner tiefenentspannt in Richtung Straßenrand. Da ist immer was los. Schnäppchen zum Beispiel. Man muss wissen: es braucht in Accra keinen Supermarkt. Alles was man zum Leben benötigt wird auch an der Straße verkauft. Auf drei vollgestopften Spuren, die eigentlich keine sind, weil eh jeder fährt wie er kann und will, zwischen zwei oder auch fünf Rot-Pausen an Ampeln, für die sich keiner interessiert. Es gibt wirklich nichts, was es nicht gibt. Man kann Obst erwerben, Bananenchips, Toilettenpapier, (fast) frischen Fisch, MP3 Player, Mückenspray, dass „Brumm“ heißt, eisgekühltes Trinkwasser in eingeschweißten Tütchen, DVDs, Sonnenbrillen, Kokosnüsse, Schokoriegel, Unterhosen, „Mentos“ Dropse, Warndreiecke, Lenkradbezüge, Manchester United Fanschals, und so weiter. Wir beobachten Frauen, die mit stolz geschwellter Brust und in aufrechtem Gang an die 20 Ein-Liter-Flaschen Cola und Co.  in riesigen Wannen auf ihren Köpfen balancieren. Und das bei 35 Grad im Schatten und etwa 80 Prozent Luftfeuchtigkeit. 

Dementsprechend riecht’s hier übrigens auch. Für die europäische Nase ein Graus. Entweder man schnüffelt Benzin oder eine Mischung aus Hundescheiße, Erbrochenem und Fisch jenseits jeglicher Verträglichkeit mit dem zarten, deutschen Organismus. Fenster zumachen ist übrigens keine Alternative. Klimaanlage gibt’s nicht. Unser Taxler sieht aus wie 50Cent in rotem T-Shirt. Er hupt zur Musik, glaube ich. Es stellt sich aber schnell heraus dass er damit jedem anderen Verkehrsteilnehmer seine Absichten mitteilt. Kommt er von links oder rechts? Will er Vorfahrt oder doch eher Vorfahrt? Wem gehört der Kreisverkehr? Dir? Vergiss es! Um es auf den Punkt zu bringen: für knappe 10 Kilometer brauchen wir fast 2 Stunden. Dann biegt 50Cent ab. Viktor und Michael, die beiden „Madamfo Ghana“ Mitarbeiter, lotsen uns über Schotterwege in ein Wohnviertel. Eine unbefestigte Lehmstraße mit Schlaglöchern so tief wie Brunnenschächte. Streunende Hunde, Hühner, Kinder. Irgendwann geht’s nur noch zu Fuß weiter. Fünfmal abbiegen, dann stehen wir vor einem eisernen Tor. Dahinter verbirgt sich eine Art „Wohnanlage“. In Deutschland würde man sagen Baracke. Benjamin wohnt im ersten Stock eines verhältnismäßig gut befestigten Hauses. 20 Stufen führen in einen dunklen Flur. Im ersten Zimmer links steht er und wartet. Es ist schwer zu sagen, was mir in diesem Augenblick durch den Kopf geht. Obwohl keiner von uns Benjamin jemals persönlich getroffen hat, ist er vertraut. Jeder, der hier ist, hat fast 2 Jahre an seinem Leben teilgenommen, hat es beeinflusst. Durch Spenden. Durch Anteilnahme. Durch Facebook Posts, und so weiter. Jetzt steht er vor uns. Grinst über beide Ohren. Ich nehme ihn einfach in den Arm, murmle „good to see you, man“. Was für ein Gefühl! 5000 Kilometer Luftlinie, 2 Kulturen, die unterschiedlicher nicht sein könnten, Menschen, die sich unter normalen Umständen niemals kennen gelernt hätten. Dieser Moment ist anders als alles, was ich bisher erleben dufte. Es ist wie ganz von vorne anfangen. Sich selbst auf Null setzen, mit Ausblick auf wunderbare Zeiten. Benjamin nimmt mich bei der Hand, lässt mich nicht mehr los. Übrigens in Ghana ganz normal. Auch unter Männern. Gute Kumpels laufen schon mal Hand in Hand über die Straße. Er zeigt mir seine Narbe am Rücken, die fast keine mehr ist. Er steht aufrecht, macht sogar kleine Luftsprünge, tanzt, zeigt uns wie er damals auf allen Vieren aus dem Bett in Richtung Toilette gekrabbelt ist. Aber vor allem lacht er. Die ganze Zeit. Das tut gut. Denn auf den ersten Bildern nach seiner OP war das nie der Fall. Und als Happy-End verwöhnter Europäer erwartet man das irgendwie. Später wird uns Bettina Landgrafe von „Madamfo Ghana“ am Telefon erzählen, dass das bei den Ghanaer normal sei. Auf Fotos und Videos schauen die gerne mal grantig, meinen es aber nicht so. Heute ist alles anders. Benjamin redet wie ein Wasserfall, wird auch mal laut. Nur so zum Spaß. Und weil es endlich mal wieder einen Grund zum laut sein gibt. Ich sehe mich in seinem Zimmer um. 15 Quadratmeter. Höchstens. Ein Bett in der linken Ecke. Ein Poster mit christlichen Parolen an der Wand. 4 oder 5 Bücher in denen es um Glauben und Hoffnung geht. Medikamente auf einem kleinen Nachtisch. Ein Transistorradio auf der Ablage am Kopfende. Ein Beutel mit frisch gewaschenen T-Shirts hinter der Ecke. Sein ganzes Hab und Gut. Sein Leben. Mehr ist es nicht.

Wir fragen ihn ob er Lust habe mit uns zu Mittag zu essen. Er grinst über beide Ohren, zieht sofort seine Schuhe an, macht sich Ausgehfertig. An normalen Tagen kommt er hier nicht weg. Wie auch. Er hat kein Auto, kaum Geld, muss sich immer noch schonen. Die OP hallt nach, täglich Schmerztabletten, viel Ruhe, noch nicht mal bücken ist erlaubt. Wir fahren (wieder mal) durch unzählige Staus, vorbei an Straßensperren, tief hinein in die City. Im Restaurant verändert sich Benjamin. Er wird ruhiger, nachdenklich. Plötzlich kullern die ersten Tränen.

Wir hatten über seine Zukunftspläne gesprochen, das macht ihm zu schaffen. Er hat Angst vor dem was kommt, große Angst sogar. Er weiß nicht wo er mal wohnen soll, was man ihm noch zutraut. Er schluchzt laut, schaut weg, schämt sich. Ich bin mir in diesem Moment nicht sicher, wie ich mich verhalten soll. Michael, sein Betreuer kümmert sich, beschwichtigt ihn. Ich nehme ihn bei der Hand, rede ihm gut zu. „Everything will be ok“… Das hilft nicht wirklich. Benjamin erklärt mir immer und immer wieder, wie schwer das Überleben hier sei, ich könne mir das nicht vorstellen. Da hat er Recht. Ich kann es nicht. Mein Zuhause ist ein Netz mit doppeltem Boden. In Deutschland fällt jeder weich, wenn er das denn will. Unser Sozialsystem gehört zu den besten der Welt. Hier in Westafrika kommt nur durch wer stark genug ist. Und Benjamin ist noch weit davon entfernt, es mit Accra auf zu nehmen. Ich frage mich im Stillen was das für mich, für uns, für all diejenigen bedeutet, die Benjamins Operation mitfinanziert haben. Sind wir ab sofort für immer für dieses Leben verantwortlich? Die OP war wichtig, aber was jetzt kommt, ist es auch. Benjamin hat den Sturz überlebt, nun muss er sein Leben meistern. Wir können ihm nicht auf halber Strecke zuwinken und Tschüss sagen. Das war mir irgendwie schon vorher klar, aber jetzt sitzt dieser Mann vor mir und weint. Weint vor Angst. Ich sage ihm er müsse sich keine Sorgen machen, keiner wolle ihn jetzt hängen lassen. Das hilft. Er trocknet seine Tränen und stochert in seinem Reis mit Hühnchen, dass schon längst kalt ist.

Der Nachmittag ist noch jung. Ich frage Benjamin, ob er uns den Ort zeigen könne an dem Alles begann. Der Ort, an dem er stürzte, sich den Rücken brach. Wir machen uns auf den Weg. Er führt uns in einen Vorort der ghanaischen Hauptstadt. Eine Siedlung, in der unter anderem liberianische Flüchtlinge hungern, überleben und manchmal auch Arbeit finden. Wir kämpfen uns fast 2 Stunden durch den Feierabendverkehr. Vorbei an unzähligen „Road Blocks“, Mautstellen, Straßenmärkten. Ein kleines Mädchen kommt an das offene Fenster und macht sich über meine Nase lustig. Ihre sei viel schöner weil platter. Sie will mich anfassen, ich strecke mein Gesicht so weit aus dem Auto dass sie hinkommt und revanchiere mich mit einem Zwicker in ihre Backe. Sie lacht und lacht und lacht. Und hört nicht mehr auf. Erst hinterher fällt mir ein, dass sie überhaupt keine Angst hatte. Obwohl ich ein völlig Fremder war. Die Menschen hier sind nicht argwöhnisch gegenüber uns, sie sind unglaublich offen. Und selbst wenn einer mal grimmig kuckt: einfach anlächeln und es dauert keine zwei Sekunden bis der Ghanaer ebenfalls seine strahlenden Zähne zeigt. Und wenn das auch nicht hilft: Radio aufdrehen und winken. Für einen Tanz auf der Straße ist hier jeder zu haben. Zu allen Tages- und Nachtzeiten. Passiert just in diesem Moment ein paar Meter weiter. Eine Gruppe Jungs trommelt sich in Feierlaune. Das Treiben ist so spektakulär, dass ich es festhalten will. Ich hole das iPhone aus der Hosentasche, aktiviere die Kamera, halte das Ding so unauffällig wie möglich aus dem Fenster. Es dauert keine 10 Sekunden, da sprintet ein junger Mann an meine Tür und versucht mir das Telefon zu entreißen. Ghanaer mögen es nicht, wenn sie ungefragt gefilmt oder fotografiert werden. Und wer sich nicht an die Regeln hält, findet sein Wunderwerk der Technik zertreten im Straßengraben wieder. Schon kapiert. Finger still halten. Kamera weg packen.

Die Siedlung am Stadtrand von Ghana in der Benjamin viele Jahre seines Lebens arbeitete, wo er so unglücklich stürzte, wo sich alles für ihn veränderte, ist ein afrikanischer Mikrokosmos voller Überlebenskünstler. Als ich dieses Reich betrete, bekomme ich einen Eindruck davon, wie sich Armut anfühlt. Wie sie riecht. Wie sie aussieht. Die Menschen hausen unter widrigsten Bedingungen, teilen sich wenige Quadratmeter auf lehmigen Böden, kochen auf Abfall und Steinen in verrosteten Blechdosen, ertragen den Gestank des provisorisch angelegten Abwasser-Systems, aber sie sind sozial organisiert. Es gibt einen Pastor und einen Raum, der zur Kirche umdekoriert wurde. In einer winzigen Hütte nebenan scharen sich an die zehn Männer um einen uralten Fernseher um Fußball zu sehen. An manchen Tagen kommen Kinder zusammen um das Nötigste von den Erwachsenen zu lernen. Eine Schule, die eigentlich keine ist. Aus der Not geboren. Ein winziger Funken Hoffnung auf Bildung. Benjamin führt uns in eine winzige Strasse an eine notdürftig zusammengeflickte Hütte mit verbarrikadierten Fenstern und geschlossener Tür. Hier ist es also passiert. Vor etwas weniger als 4 Jahren. Er sei auf einen Tisch gestiegen um den oberen Bereich der Wand zu streichen. Einer der vier Tischbeine sei wohl locker gewesen. Der Tisch habe gewackelt, er habe das Gleichgewicht verloren, sei gestürzt und mit dem Rücken auf die Kante gefallen. Von diesem Augenblick an begann für den damals Anfang 30jährigen Benjamin die Hölle auf Erden. Er konnte nicht mehr aufstehen, er konnte nur noch kriechen. Und selbst das war nur unter unsäglichen Schmerzen möglich. Seine Mitbewohner verweigertem ihm das Obdach, setzten ihn vor die Tür, zogen ihn an den Händen in eine Ecke neben der gemeinsamen Baracke. Sie wollten einfach keinen wimmernden Mann in ihrer Mitte ertragen. Von da an lag Benjamin auf dem Boden und bettelte um Essen. Tag und Nacht. Nach einer Woche ertrug er den Hunger nicht mehr, krabbelte vor die provisorische Kirche, hoffte auf göttlichen oder wenigstens pastoralen Beistand. Der Reverend hatte Erbarmen, gab ihm ein klein wenig zu Essen. Und er organisierte Wochen später einen Transport in das hunderte Kilometer entfernte Heimatdorf Benjamins. Wir treffen den Pastor. Ich frage ihn, warum die Menschen hier, die mehr als zehn Jahre Seite an Seite mit Benjamin gelebt und gearbeitet hätten, nicht mehr für ihn tun konnten damals? Warum sie ihm beim Verhungern zusahen? Der Pastor sieht mich ruhig an und sagt, niemand hier könne sich um ein zweites oder drittes Leben kümmern, außer es handle sich um die eigenen Kinder. Das habe nichts mit der Verweigerung von Nächstenliebe zu tun, es gehe schlicht und ergreifend nicht. Die Ressourcen seien zu knapp um ein zweites Maul neben dem Eigenen zu stopfen. Das erklärt auch das Verhalten von Benjamins ehemaligen Freunden hier. Viele die ihm damals die Hilfe verweigerten (oder verweigerten MUSSTEN weil sie nicht anders konnten) erkennen ihn wieder, freuen sich über seine Genesung, klopfen ihm auf die Schultern, nehmen ihn in den Arm. Ich weiß jetzt, dass es fast unmöglich ist diese Welt mit dem Verstand eines wohlhabenden Europäers zu begreifen. Die Ghanaer sind voller Liebe aber der tägliche Kampf um das eigene Überleben lässt wenig Spielraum. Wären wir so anders unter diesen Bedingungen? Ich glaube nicht. Und ich beginne zu begreifen, wie schwer es für Benjamin sein muss zu verstehen, warum Menschen die tausende Kilometer entfernt leben, Geld an einen Wildfremden spenden. Das muss so weit weg sein von all dem, was hier jeden Tag sein Leben bestimmt… Wir
verabschieden uns von seinen früheren Mitstreitern, fahren in der Abendsonne Richtung Accra Stadt, bringen Benjamin nach Hause und verabreden uns für den nächsten Tag. Er strahlt so sehr, dass wir seine weißen Zähne auch noch aus zwei Metern Entfernung abzählen könnten.

"Der Pastor sieht mich ruhig an und sagt, niemand hier könne sich um ein zweites oder drittes Leben kümmern, außer es handle sich um die eigenen Kinder."

Heute ist unser zweiter und leider letzter Tag in Accra. Wir laden Benjamin an den Strand unseres Hotels ein. Es dauert fast 3 Stunden bis er mit Viktor und Michael, den beiden Betreuern von „Madamfo Ghana“, im Taxi bei uns ankommt. Der Verkehr sei heute besonders schlimm, sagen sie. Kennen wir ja inzwischen… 2 Road Blocks auf der Strecke reichen um Zeitpläne um Stunden zurück zu werfen. Am Strand suchen wir einen Ort zum Mittagessen. Ich komme mir schon vor wie meine Mutter, die früher (und manchmal auch heute noch) das Essen in ihre Kinder hinein zwingt weil sie unbedingt will, dass der Nachwuchs groß und stark wird. Benjamin bestellt Fufu, das ghanaische Nationalgericht. Ein salziger, aufpürierter Brei aus Wurzeln, Kochbananen und anderen Sachen, die hier so wachsen. Dazu trinkt er eine Cola, was in seiner Welt in etwa der Order einer Flasche Champagner in Deutschland gleich kommt. Er erzählt uns von der Zeit, die war und der Zeit, die hoffentlich bald kommt. In Stunden des Hungers, als seine Unterschenkel so dünn waren, dass man sie mit Daumen und Zeigefinger umschließen konnte, habe er oft an Selbstmord gedacht. Aber die Hoffnung auf ein Wunder, der Glaube an Gott habe sein Herz weiter schlagen lassen. Sein Betreuer Michael erzählt uns in diesem Zusammenhang noch eine Geschichte, die deutlich macht wie prekär die Lage war. Als die Organisation von Bettina Landgrafe nach dem Eingang der ersten Spendengelder versucht habe, ihm ein kleines und günstiges Hotelzimmer zu organisieren, wurde Benjamin abgelehnt. Begründung: man habe angesichts seines Zustandes Angst, dass er sterbe und man sich dann um seine Leiche kümmern müsse. Das ist harter Tobak. Und es zeigt, wie dünn der Faden war, an dem Benjamins Leben hing. Heute, ein Tag an dem er Cola trinkt und sein Fufu mit Fischsuppe löffelt, scheint das alles weit zurück zu liegen. Heute redet Benjamin über seine Zukunft. „Madamfo Ghana“ habe ihm vorgeschlagen, einen kleinen Kiosk zu eröffnen. Ein Stand am Straßenrand, der so ziemlich alles im Sortiment hat, was der Ghanaer zum täglichen Leben braucht. Die Anfangsinvestitionen würden erstmal von der Organisation und unseren Spendengeldern bezahlt werden. Benjamin versichert mir auch sofort, dass ich niemals einen Cent bezahlen müsse, sollte ich eines Tages als Kunde auf der Matte stehen. Ich bedanke mich höflich, bestehe aber darauf, als ganz normaler Kunde behandelt zu werden. Umsonst einkaufen ist keine Option. Sonst wird das nix mit dem wirtschaftlichen Aufschwung. Benjamin ist sich auch noch nicht sicher wo der Laden am Ende stehen soll. Accra, sagt Viktor, sei eigentlich zu teuer, die Konkurrenz zu groß. Sein Heimatort wiederum sei zu klein (und arm) um ausreichend Kundschaft zu generieren. Also wird es wohl eine andere Stadt in Ghana werden. Ein neues Zuhause. Ohne vertraute Gesichter. Das macht ihm zu schaffen. Benjamin geht auf die Vierzig zu, hat weder Frau noch Kinder. Ihm fehlen Rückhalt und Geborgenheit einer eigenen Familie. Auch Freundschaften muss er suchen, finden und pflegen. Alles auf Null also. Ich verstehe seine Sorgen. In meiner Welt baut man über Jahrzehnte hinweg sein soziales Netzwerk auf, hat Freunde, die einen im besten Fall ein Leben lang erhalten bleiben. Benjamin hatte in den letzten 4 Jahren nichts von Alledem. Er hatte noch nicht einmal die Chance dazu. Ich versichere ihm das er viele Freunde in Deutschland habe, die ihm zumindest aus der Ferne zur Seite stünden.

Die Zeit vergeht schnell. Wir müssen uns am frühen Abend verabschieden. Die Strecke zum Flughafen ist voller unkalkulierbarer Risiken. Man kennt das ja inzwischen. 

Benjamin und ich werden uns wahrscheinlich nicht mehr wieder sehen. Unsere Geschichte begann an einem Tag im Frühjahr 2010, als ich sein Foto und einen Hilferuf auf Facebook entdeckt habe. Und ich bin heute – auf einem Hotelparkplatz in Accra – unendlich dankbar, dass ich damals genauer hingesehen habe. Denn Benjamin hat uns, die Spenden für seine Operation gesammelt haben, mindestens so viel Leben geschenkt, wie wir ihm.