Highway to Hell

Ironman hamburg

Ich war schon immer impulsiv und noch nie besonders gut darin, besonnene Entscheidungen zu treffen. Schon gar nicht, wenn ich im Endorphine-Himmel über eine Ziellinie taumele. So war das im Mai 2018, als ich mehr oder weniger ohne Vorbereitung beim Triathlon Ingolstadt auf der Mitteldistanz gestartet bin und nach knapp 5 Stunden und 48 Minuten vollkommen erledigt im Ziel beschlossen habe: Nächstes Jahr dann der Ironman.

Mein Trainer und Freund Gerhard Budy hat mir damals auf die Schulter geklopft und gesagt: überleg dir das gut, die Vorbereitung wird dein Leben über Monate bestimmen. Überlegt hab ich dann schon. Aber vor allem, wie ich aus meinen Vollzeit-Jobs eine Teilzeit-Beschäftigung mache um das Trainingspensum zu schaffen. Denn das habe selbst ICH im Rausch noch umrissen: Ein Spaziergang wird das nicht.

Wenige Tage später hat mir Gerhard dann grob skizziert, was eine Langdistanz, wenn man sie denn als Anfänger in einer ambitionierten Zeit von unter 12 Stunden absolvieren will, an Pensum einfordert. Da habe ich dann das erste Mal geschluckt. Ich war mit Marathon Trainingsplänen vertraut aber wenn man vorher noch 3,8 Kilometer schwimmen und 180 Kilometer radeln will, sollte man die Arschbacken zusammen kneifen und anfangen zu trainieren. Am besten gestern.

Also habe ich Termine mit meinen Arbeitgebern gemacht und die Situation geschildert. Dass ich mich beim Ironman Hamburg anmelden werde und im Mai, Juni und Juli 2019 deutlich weniger arbeiten möchte. Das ist die heiße Phase, in der werden die meisten Trainingsstunden runtergerissen. Die Reaktionen fielen unterschiedlich aus aber am Ende habe ich meinen Willen bekommen. Ich muss noch dazu sagen, dass meine Jobsituation eine aussergewöhnliche ist und in meinem Fall Fluch und Segen zugleich. Ich arbeite für insgesamt vier Redaktionen in München, Mainz und Düsseldorf und lege an den Wochenenden noch auf. Mein Einkommen fußt also auf mehreren Säulen, was praktisch ist, wenn man seine Arbeitszeiten flexibel gestalten will, was aber auch bedeutet, dass man Anfragen und Aufträge gewissenhaft planen und koordinieren muss um nicht ins Schleudern zu kommen. So oder so hatte ich einen Plan und der schien auf zu gehen. Also habe ich Gerhard offiziell als Trainer verpflichtet und los ging’s.

Erste (und lebensnotwendige) Maßnahme war ein Termin bei Dr. Zeilberger, einem Sportmediziner aus München, der bei Marathonläufern und Triathleten nach dem Rechten sieht. Ich wollte nämlich auf keinen Fall wegen eines unentdeckten Herzfehlers dem Sensenmann die Hand schütteln. Eine Langdistanz ist eine enorme Belastung für den Körper. Egal, wie gut man trainiert hat. Also habe ich mich einem ausführlichen EKG auf dem Laufband und einer kardiologischen Ultraschall-Untersuchung unterzogen. Bitte macht das auch, solltet ihr ähnliche Ziele verfolgen. Ihr wärt nicht die ersten, die wegen
einer Aorteninsuffizienz oder einem zu engen Kranzgefäß umkippen.

Nach der Freigabe vom Doc ging es dann im November 2018 unter Gerhards Fittichen ans Eingemachte. Die 9 Monate lassen sich im Großen und Ganzen in 3 Phasen unterteilen. Phase 1 beinhaltet Schwimmtechnik, Indoor radeln und Grundlagentraining beim Laufen. Das ist alles in allem noch recht entspannt. Wir reden hier von 6 bis 10 Stunden Sport pro Woche. Gerade die Zeit auf der Rolle (ich habe mein Rad auf den „Kickr“ von WAHOO geschnallt und das Ganze mit der Zwift App gekoppelt), bei der man peu a peu die Wattbelastung, also den Widerstand beim Treten erhöht, war recht
komfortabel weil ich nebenbei Netflix leer geschaut habe.

In Phase 2 werden die Trainingseinheiten länger und intensiver. Die Radeinheiten finden nun zunehmend draußen statt und man koppelt sie immer öfter mit anschließenden Läufen um den Körper an die Mehrfachbelastung zu gewöhnen. In dieser Zeit, also zwischen Februar und April, lag ich im Schnitt bei etwa 10 bis 14 Stunden Sport die Woche.
Dann kommt Phase 3. Die, mit der höchsten Intensität im letzten Quartal vor dem Wettkampf. Heißt, bis zu 20 Stunden Training, manchmal auch mehr. Mit einem Vollzeitjob nur zu machen wenn man die Wochenenden komplett frei hat und die langen Einheiten auf Samstag und Sonntag legen kann, was in meinem Fall leider nicht möglich war, denn ich spiele im Sommer fast durchgehend auf Festivals oder bin beim ZDF in Mainz. Daher war ich spätestens jetzt froh, dass mir Antenne Bayern unter der Woche entgegen gekommen ist. Danke an dieser Stelle an meine Chefs!

Am Ende hatte ich mehr als 7000 Kilometer Trainingsstrecke auf der Uhr. Das ist München-New York zu Fuß, auf dem Rad und im Wasser. Die meiste Zeit an meiner Seite: Gerhard Budy. Klar, man findet auch Trainingspläne im Netz, manche sind sogar umsonst. Aber auf dieser Reise braucht ihr jemanden an eurer Seite. Einen Ansprechpartner mit Erfahrung. Es geht ja nicht nur um eure individuellen Bedürfnisse, denn jeder Athlet hat
eine andere Taktung, kommt mit Belastung unterschiedlich klar, macht Fortschritte in seinem eigenen Tempo… es geht auch um das, was in eurem Kopf passiert während dieser ganzen Zeit. Und das ist eine Menge. Euer Trainer ist auch euer Therapeut, ein Freund und Ansprechpartner in guten wie in schlechten Zeiten. Und ganz ehrlich: Ich würde lügen wenn ich behaupten würde, dass es immer Spaß gemacht hat.

"...es geht auch um das, was in eurem Kopf passiert während dieser
ganzen Zeit.Und das ist eine Menge."

Millionen Kacheln auf überfüllten Sportbahnen in Hallenbädern gezählt. Bibbernd und alleine im April durch bayerische Seen gekrault. Reifenpannen im oberbayerischen Hinterland und keinen Ersatzschlauch dabei. 30km Laufeinheiten im Dauerregen an der Isar. Oder dieses eine Mal, als ich im Frühjahr die Handschuhe auf dem Rad vergessen hatte und die Finger nach 140 Kilometern so gefrorenen waren, dass ich anschließend die Schnürsenkel von meinen Laufschuhen nicht mehr binden konnte.

Aber das spielt am Ende alles keine Rolle mehr. Die Vorbereitung auf die Königsdisziplin im Ausdauersport hat mein Leben so sehr bereichert, dass ich mit nichts und niemanden tauschen möchte. Ich bin fit wie nie, hatte das erste Mal seit 35 Jahren keinen Heuschnupfen mehr, weil ich meine Ernährung für den Sport umgestellt habe (kein Fleisch, keine Milchprodukte, kein Weizen und kein raffinierter Zucker mehr), habe großartige Menschen kennen gelernt, die mich bedingungslos unterstützt haben, bin durch Gegenden in Bayern geradelt, die so schön sind, dass ich hier nie wieder weg will, habe in
jeder noch so blöden Situation Hilfe von Fremden erfahren. Ein älterer Herr aus einem Kaff im Nirgendwo, der mir einen Transport zum nächsten Radsportgeschäft organisiert hat, ein Tante Emma Laden-Chef, der mich von einem Gewitter gerettet hat oder zwei griechische Handwerker, die vom Ufer aus aufgepasst haben, dass ich im stürmischen Mittelmeer bei 16 Grad Wassertemperatur nicht verloren gehe. Ein Wegbegleiter hat mir wenige Tage vor dem Wettkampf geschrieben: „Falls die Frage kommt, warum du dir diesen Wahnsinn antust? Weil du es willst und weil du es kannst!“

Race-day am 28. Juli. 3:30 Uhr. Ich wache noch vor dem Wecker auf. Draußen ist es stockdunkel. Das Adrenalin flutet bereits den Körper, ich habe maximal 4 Stunden geschlafen. Zeit zu frühstücken. So viel, wie reingeht. Ich löffle neben meiner dösenden Freundin ein Pfund Porridge mit Datteln, Feigen und Bananen. Das Essen muss bis 4 Uhr im Magen sein, dann hat der Körper 3 Stunden Zeit es weiter zu transportieren und es stört nicht mehr, wenn ich ins Wasser gehe.

Schwimmstart um 6:48 Uhr am Jungfernstieg. Herzklopfen, dass man wahrscheinlich durch den Neopren Anzug sehen kann. Ich kraule neben 2.500 Athletinnen und Athleten zaghaft drauflos. Will ja nicht mein ganzes Pulver schon am Anfang verschiessen. Nach 1 Stunde und 11 Minuten bin ich wieder draussen. Keuchend, wasserspuckend. Ab jetzt Dauerfeuer! Die 183km Rad anspruchsvoll weil kurvig im Hafen und windig entlang der Deiche. Ich brauche knapp 5:39. Dann der Marathon bei 30 Grad. Nicht daran denken, was man noch vor sich hat! Einfach laufen. Bei den Versorgungsstationen Wasser ins Gesicht, Eiswürfel in den Anzug und getränkte Schwämme auf die Schultern. Es folgen die härtesten Stunden meines Lebens. Hoch’s und Tief’s im Minutentakt. Meine Beine schwer wie Blei. Mein Kopf an dunklen, an SEHR dunklen Orten.

Aber dann ist da wieder Hamburg. Treibende Techno Beats am Gänsemarkt. Zehntausende, die dich nach vorne schreien. All die Helfer an der Strecke, die dir keine Sekunde das Gefühl geben, dass du alleine auf deiner Reise bist. Und kurz vor dem mentalen Kollaps reißen deine Leute das „Go Flo Go“ Banner hoch. Danke Caroline, Gerhard, Renate, Caro, Petra, Klaus und Torge, dass ihr immer da wart. Und plötzlich werden dir die letzten 500 Meter angezeigt, du siehst den Ziel-Tunnel, hörst den Moderator, der ruft „FLORIAN, YOU ARE AN IRONMAN„. Die Beine werden leicht (keine Ahnung, wie DAS geht), du hast eine Milliarde Schmetterlinge im Bauch, Wasser in den Augen, stolperst deinen Freunden in die Arme und bist so sehr bei dir, wie du es vielleicht noch nie warst.

Ich verstehe jetzt, warum Menschen diese Tortur auf sich nehmen: Weil sie dich zu einem Gewinner macht, selbst wenn du nicht als Erster durch’s Ziel kommst. Weil dir nichts geschenkt wird. Weil jeder Meter, jede Sekunde hart erarbeitet wurde. Und weil du deinem inneren Schweinehund gezeigt hast, wo der Hammer hängt.

Es war ein Wahnsinns-Ritt. Und sicher nicht mein Letzter.