Back to basics

Mykonos

Meine Geschichte über das „Scorpios“ auf Mykonos, längst eine Legende in der Ägäis, begann Ende der 90er in einem Nachtclub in Ulm. Ich war dort Barkeeper, jede Woche von Donnerstag bis Samstag. Meistens wurde es spät und selten bin ich nüchtern nach Hause. Was dazu geführt hat, dass ich meinen eigentlichen Job, Jung-Redakteur beim Radio, sträflich vernachlässigt habe. Aber hey, das war der angesagtes Club im Umkreis von rund hundert Kilometern und unsere Chefs haben DJ’s und Tänzerinnen aus Amsterdam eingeflogen als im provinziellen Süden der Republik noch kaum einer das Wort „House“ buchstabieren konnte. Hätte ich damals schon die Antennen gehabt, die ich heute habe, wäre mir wahrscheinlich klar gewesen welches Potential in den Köpfen der beiden „Myer’s“ Bosse schlummert. Aber mit 19 hatte ich das nicht auf dem Schirm, in dem Alter kreist man in erster Linie um sich selbst. Ich verließ meine Heimatstadt zugunsten einer hoffnungsvollen Radiokarriere in München und stürzte mich in die Arbeit. Auch meine beiden Chefs zogen weiter. Jean Claude Ades landete mit Sack und Pack auf Ibiza und Thomas Heyne auf Mykonos.

“Als er 2005 in einem klapprigen Bus und so gut
wie pleite auf der Insel ankam, hatte er nichts zu verlieren“

Ich kenne keine Karriere in meinem Umfeld, die mit einer stringenten Tendenz nach oben verlaufen ist. Aber die von Thomas Heyne war besonders steinig. So steinig wie dieser unförmige, raue und vom Wind gebeutelte Felsbrocken in der südlichen Ägäis. Als er 2005 in einem klapprigen Bus und so gut wie pleite auf der Insel ankam, hatte er nichts zu verlieren. Ein Freund und Geschäftspartner, Mario Hertel, war bereits Feuer und Flamme für die Zykladen nachdem er im Sommer zuvor auf einem umfunktionierten, 50 Meter langen Militärboot für die ansässige Partyszene geackert hatte. Ein schlecht laufender Beachclub suchte neue Pächter und die beiden fühlten sich angesprochen. Ich habe Thomas und Mario in diesen ersten Jahren ein paar Mal besucht und frage mich bis heute, wie die das durchgestanden haben. Mykonos war ein Hotspot für die schwule Szene aber weit davon entfernt dem Partytourismus auf Ibiza das Wasser zu reichen. Und zwei ambitionierten Deutschen, die einen maroden Laden im umkämpften Süden der Insel aufziehen wollten, wurden damals nicht nur jede Menge Knüppel zwischen die Beine geworfen sondern man hat ihnen auch mit selbigen gedroht. Es kam immer wieder vor, dass Plakatierer verprügelt wurden. Und während die griechische Insel-Polizei großzügig über diese „Zwischenfälle“ hinweggesehen hat, haben die griechischen Steuerbehörden, die zumindest damals nicht gerade für ihren überbordenden Aktivismus bekannt waren, ganz genau hingeschaut. Könnte sein, dass „die Deutschen“ die einzigen waren, die in dieser Zeit überhaupt was an den Fiskus abgeführt haben.

“Während die griechische Insel-Polizei großzügig
Über diese Zwischenfälle hinweggesehen hat,
haben die Steuerbehörden ganz genau hingeschaut“

Die meisten Leute hätten unter diesen Umständen irgendwann das Handtuch geworfen, Thomas und Mario haben jeden Tag Badetücher ausgegeben an ihre Gäste. Und die wurden von Jahr zu Jahr mehr. Mit dem Erfolg kamen Top-DJ’s und die Presse. Der „Paradise Club“ tauchte immer öfter in internationalen Magazinen auf, was wiederum die örtlichen Behörden milde stimmte. Hinzu kam, dass die beiden fast ausschließlich Griechinnen und Griechen einstellten und die anständig bezahlten. Es war ein mühsamer aber nachhaltiger Weg in die Akzeptanz eines mafiösen Insel-Kosmos. Aber er sollte sich auszahlen. Als der Laden lief, liefen sich die beiden Unternehmer für das nächste, große Ding warm. Sie hatten ein paar hundert Meter weiter schon seit längerem einen unbebauten Felsen im Auge hinter dem jeden Abend die Sonne unterging. Ein Stück Land in der Hand eines Bauern, dicht besiedelt von Pfauen, die übrigens bis heute da oben rumstolzieren. Neben einer Bruchbude von Hotel, dass Thomas und Mario schon ein Jahr zuvor aufbauten, suchten sie Geldgeber für die Vision eines Beachclubs, der alles verändern sollte. Sie mussten, so erzählt es Thomas immer wieder wenn wir über diese Zeit sprechen, volles Risiko gehen. Die Investitionen waren immens, die Chancen, dass die Leute das so annehmen würden, schwer einzuschätzen. Es war die Hoch-Zeit des EDM Bombasts. Star DJ’s wie David Guetta und Avicii spielten für obszöne Gagen in gigantischen Laser- und Feuershow Spektakeln ihren poppigen Schrubbersound während sich die Gäste mit billigen Cocktails in 0,3 Plastikbechern zuschütteten. Und genau in dieser Phase wollten zwei Deutsche auf Mykonos shamanischen House-Sound, Healing-Sessions und Kakao-Zeremonien etablieren. Das „Scorpios“ eröffnete Ende Mai 2015 und nur ein paar Wochen später, am 1. Juli 2015 führte der griechische Ministerpräsident mitten in einer schweren Finanzkrise Limits zu Auslandsüberweisungen und dem Abheben von Bargeld ein um Kapitalflucht zu verhindern. Was übrigens nichts anderes bedeutete als das überall im Land Konten eingefroren wurden. Der Gau, die größte anzunehmende Katastrophe für jeden Laden, jedes Restaurant, jeden Club. Denn ohne die Möglichkeit Geld zu überweisen, konnte auch das „Scorpios“ kein Gemüse, keinen Fisch und keine einzige Flasche Tonic Water bestellen. Die Lieferanten akzeptierten plötzlich nur noch Bargeld – und das gab es nicht mehr. Es wäre der Todesstoß für diesen gerade neu eröffneten Laden gewesen, hätten die beiden nicht ihre internationalen Gäste ins Boot geholt. Denn die konnten im Gegensatz zu den meisten Griechen noch Cash abheben. Der Deal, den Thomas und Mario ausbaldowerten, war folgender: Wenn ihr bei uns bar bezahlt bekommt ihr einen Discount von 20% auf alles, was ihr hier bestellt. Das ging soweit, dass Gäste mit einem Shuttle Service zu ATM’s gefahren wurden. In diesem ersten Jahr, in dem die Umstände nicht hätten herausfordernder sein können, überlebte der Laden nicht nur, er fuhr mehr als das Doppelte des erhofften Umsatzes ein.

“Genau in dieser Phase wollten zwei Deutsche
auf Mykonos shamanischen House-Sound, Healing-Sessions
und Kakao-Zeremonien etablieren“

Ich bin 2018 nach Mykonos zurückgekehrt. Drei Jahre nach dem Beginn dieses Siegeszuges, der den beiden deutschen Unternehmern unter anderem die höchste Auszeichnung bescherte, die das griechische Ministerium für Tourismus zu vergeben hat. Für mich ist dieser Ort, im speziellen das „Scorpios“, die längst überfällige Alternative zum Techno-Fasching, dessen Veranstalter sich nur noch mit endlosen Line-Ups zu helfen wussten in den letzten Jahren. Am südlichsten Zipfel von Mykonos, gegenüber von Delos, der Insel der Götter, arrangierte das Team auf 7000 Quadratmetern Fels und Sand ein Restaurant, mehrere Bars, Strandbetten, offene Feuerkelche, eine Boutique und Tanzflächen über mehre, natürliche Ebenen, eingebettet in die Natur, nicht gegen sie. Die Baustoffe, mit denen das „Scorpios“ geschaffen wurde, wurden so gewählt, dass man das Ensemble vom Wasser aus nach nur wenigen hundert Metern kaum noch erkennt. Es gibt keine Laser oder Moving-heads, die den Nachthimmel verschandeln, keine meterhohen Boxentürme, die akustisch alles niederbügeln. Thomas Heyne und Mario Hertel haben sich für die leisen Töne entschieden, in jeder Hinsicht. DJ’s wechseln sich ab mit Live-Band’s, es läuft Low-Tech, Deep House und Shamanic House. Gegessen wird aus Tontöpfen mit Holzkellen, auf der Getränkekarte findet sich unter anderem ein Mezcal aus Agaven und ein Gin, der nur noch einen Prozent Alkohol hat. Es geht hier nicht mehr um’s betäuben sondern erleben. Sinne schärfen beim Soundhealing, Mental-Coaching, Qigong oder Yoga. Und wer richtig tief einsteigen will, gönnt sich eine Kakao-Zeremonie. Ich bin mir ziemlich sicher, dass einer der beiden Macher schon mal in Tulum und auf dem Burning Man war. Das Beste aus beiden Welten scheint hier, auf der Landzunge südlich des Paraga Beach, vereint.

“Ivanka Trump wollte feiern, also mussten die Jungs
in ihren schwarzen Anzügen ihre Klientin in einem denkbar
ungünstigen Sicherheits-Szenario durch den Laden bugsieren“

Das „Scorpios“ ist kein Schnäppchen aber eben auch kein Luxus-Club, der den Schönen und Reichen vorbehalten ist. Es gibt weder eine harte Tür noch einen Dresscode. Das Publikum ist Multikulturell: Natürlich ne Menge Hipster, Bohemians und Kreative. Aber es finden sich auch Großfamilien, Geschäftspartner und Menschen jenseits der 60, die niemals in einen House-Club gehen würden, sich aber hier, wo genug Luft für alle Bedürfnisse bleibt, wohl fühlen. Das goutiert übrigens auch die internationale Prominenz, die den Laden längst für sich entdeckt hat. Thomas und Mario erzählen amüsiert, wie sich George Clooney mal mit einer tief ins Gesicht gezogenen Baseballkappe reinschleichen wollte. Sie waren in dieser Nacht leider überfüllten und mussten ihn abweisen. Keine Ausnahmen, auch nicht für Hollywood Stars. Übrigens: Einen Abend bevor wir eines der Gespräche führten, die in diesen Artikel eingeflossen sind, hatte sich Ivanka Trump, die Tochter des (damalig) amtierenden US-Präsidenten zum Essen angekündigt, inklusive einer 10 Mann starken Secret Service Truppe. Das Restaurant war ausgebucht, das Reservierungsteam konnte dem Tross nur anbieten, sich ein Plätzchen an der Bar oder an der Tanzfläche zu sichern. Ivanka wollte feiern, also mussten die Jungs in ihren schwarzen Anzügen mit den Knöpfen im Ohr ihre Klientin in einem denkbar ungünstigen Sicherheits-Szenario durch den Laden bugsieren. Unauffällig geht natürlich anders. Aber die Leute hat es nicht wirklich interessiert. Was ich allerdings nie vergessen werde, war die offizielle Aftershow-Party im San Giorgio. Weil das „Scorpios“ um 1 Uhr schließt zogen die, die noch konnten ein paar hundert Meter weiter in den Garten des schmucken und ansonsten eher ruhigen Boutique Hotels. Das Team hatte dort, wo normalerweise Fitnessgeräte stehen, ein Soundsystem aufgebaut. Jean Claude Ades stand an den DJ-Decks, die Stimmung war gut, Ivanka Trump in Feierlaune. Ihre Agenten eher weniger, die konnten nicht mehr. Die Männer hatten seit Stunden nichts mehr gegessen und es war nicht absehbar, wann das Ex-Model die Segel streichen würde. Also rief Thomas in der Küche des „Scorpios“ an, die morgens um halb 2 nur noch von einem Putztrupp und zwei, drei Hilfsköchen besetzt war. Und die haben alles gegeben. Eine halbe Stunde später wurden warme Burritos geliefert, der versammelte Secret Service saß überglücklich mampfend am Pool, wie eine Fußballmannschaft nach einem hart umkämpften Sieg. Es heißt, die Griechen seien die besten Gastgeber der Welt. In dieser Nacht haben sie es einmal mehr bewiesen.

photo credits: Florian Weiss, Scorpios Mykonos